Hildegard Knef: Liedtexte

 

Wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal

Hans Hammerschmid / Hildegard Knef

 

Wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal,

oder etwa nicht, oder etwa nicht?

Denn das fällt ins Gewicht,

ja, das schlägt ins Gesicht,

oder etwa nicht, oder etwa nicht?

 

Der langen Rede kurzer Sinn

ist ganz bestimmt nicht drin,

und was ich täglich lesen muss,

das wird zum täglichen Verdruss,

ob Hypothese, ob Beweis,

es endet auf dem Abstellgleis,

wer nicht hastet, rastet, rostet,

der Fleiß führt zum Verschleiß.

Drum sag ich noch einmal, zum zweiten Mal:

 

Wer nicht verrückt wird...

 

Und was man schreibt und was man spricht,

die Wahrheit ist es nicht,

denn die Wahrheit ist ein Aal

und dient von jeher allemal

zum Drehen und zum Biegen,

als die Mutter der Intrigen,

und Jahrtausende vergingen

mit dem Spruch, der eh'r fatal

wir hatten keine Wahl,

nein, wir hatten keineWahl.

 

Wer nicht verrückt wird...

 

Und zwischen dieser, jener Innung,

zwischen Leistung und Gesinnung,

zwischen Arbeitsstress und Pflicht,

da geht so mancher arme Wicht

und zuweilen ein Genie

in die Knie, oder etwa nicht.

Ja, was macht man alles mit,

und bleibt trotz aller Müh' nicht fit,

ob kontaktfroh und jovial,

ob verärgert, radikal:

 

Wer nicht verrückt wird...

 

Und die Erfahrung bringt man niemals

an den Mann, an die Frau,

und der Weise spricht meist leise

und auch ungenau,

doch wir haben Zuversicht,

und wir hoffen auf ein Licht,

und im alten Jammertal

warten wir auf das Signal,

und bis dahin sag ich noch einmal,

zum allerletzten Mal:

 

Wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal,

oder etwa nicht, oder etwa nicht,

denn das fällt ins Gewicht,

ja, das schlägt ins Gesicht,

oder etwa nicht? Oder etwa doch?

 

 

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Erstveröffentlichung: LP Ich bin den weiten Weg gegangen, 2/1974

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