Hildegard Knef: Liedtexte
Lieber
Leierkastenmann Willi Kollo / Willi Kollo
Justav, denkste noch daran, wie mal unser Jlück begann? Ick saß in der Linie vier eines Tages neben dir. Beide sprachen wir keen`n Ton, plötzlich hieß es
"Endstation"! Doch wir fuhren beide stumm noch mal um Berlin herum. Der Schaffner sagte bloß mal so: `Um zwölfe fahr`n wa ins Depot´. Lieber Leierkastenmann, fang noch mal von vorne an. Deine alten Melodien von der Liebe erstem Jrün; spiel noch mal det alte Stück von dem ersten zarten Glück; sing noch mal die alte Weise, wenn die Herzen lichterloh
erjlüh`n, fahr’n wa uff die
Hochzeitsreise mit der Linie vier durch
Groß-Berlin. Mutter blickt so freundlich drein, wickelt ihren Sechser ein, sie, die sonst so spart im Haus, schmeißt det Jeld zum Fenster raus! Unten hebt es auf ein Kind mit der Aufschrift-- `Jänzlich
blind´! Allen Leuten weit und breit tut det arme Jör so Leid. Ist blind die arme Kleene ooch, den Sechser aber sieht se
doch… Lieber Leierkastenmann, fang noch mal von vorne an, von dem schönen Spree-Athen, wo sojar de Blinden sehn. Wo der Mann uff eenem Bein abends packt de Krücken ein; plötzlich kann er wieder loofen, denn des Abends ist er uff`n Kien, denn da jeht der Junge schwoofen, dafür stammt er schließlich aus
Berlin. Manchmal träum ich nachts davon, ick sitz wieder am Balkon. Oben vom Jeranientopp troppt`s den Leuten uff`n Kopp. An der Ecke Nummer drei liegt die kleine Bäckerei, und der Drahthaarterrier kläfft immer noch vor`t Milchgeschäft. Doch wach ich auch des Morgens
kaum, dann seh ick, es war nur ein Traum. Lieber Leierkastenmann, lass durch deines Liedes Bann, mich noch mal in Nummer zehn durch die alten Räume jehn, die nach einer Nacht vor
Jahr’n nur noch Schutt und Asche
war’n, noch mal in der Küche sitzen, wenn im Herd die Kohlen still
verjlühn; Kopp in beide Hände stützen, und dann lass mich träumen von
Berlin. |
© Figaro Verlag Edition Marieluise Kollo
(Edition Meisel GmbH) Erstveröffentlichung: LP Heimweh-Blues,
1/1978 ◘ Weitere Veröffentlichungen:
|